Zwei Systeme

Wie kann die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen Schule und Jugendhilfe aussehen? Als Leiter einer Einrichtung der offenen Jugendarbeit hat mich diese Frage natürlich vor allem im Hinblick auf die Einführung der Sekundarschulen sowie die Erweiterung der ergänzenden Förderung an Grundschulen beschäftigt. Die Befürchtung war, dass uns unsere Zielgruppe wegbricht, weil Schule und Jugendhilfe sich als zwei unterschiedliche Systeme begreifen, die mit ihren Angeboten im Nachmittagsbereich um ihre Klientel buhlen.

Doch das Gegenteil ist der Fall – wenn die beiden Systeme kooperieren. Unser Haus – das Kinder- und Jugendhaus Immenweg in Berlin-Steglitz, genannt „Imme“ – verbindet schon seit Jahren eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Schulen der Umgebung, insbesondere mit der Grundschule am Insulaner. Das reicht von der gemeinsamen Durchführung von Projektwochen („Lesetage“) über gegenseitige Unterstützung von Veranstaltungen (z.B. Sommerfest) bis hin zu gemeinsamen Hilfestrategien bei Einzelfällen in der Hausaufgabenbetreuung.

Eine solche Kooperation hat kurz vor den Herbstferien 2013 stattgefunden, und ich möchte hier ein wenig darüber berichten.

Die Idee

Einige Schüler und Schülerinnen der Klasse 6b der Grundschule am Insulaner besuchen schon seit längerem die Hausaufgabenbetreuung der Imme. In dieser Klasse keimte die Idee, sich für ein Fernsehprojekt des KiKa anzumelden. Dabei treten mehrere Klassen aus ganz Deutschland in einer Show um den Titel „Beste Klasse Deutschlands“ an. Jährlich bewerben sich über tausend Klassen dafür, die meisten mit bis zu vierminütigen Bewerbungsvideos oder mit Fotostorys. Um genommen zu werden, kommt es also auf eine möglichst originelle Bewerbung an.

Die Kinder, die die Imme besuchen, kannten die Videogruppe unserer Einrichtung, und so entstand die Idee, Klasse und Videogruppe zusammenzubringen. Erst wenige Wochen vorher hatte die 6b eine Projektwoche zum Thema „Wasser“ in der Imme verbracht – die Einrichtung war also allen bekannt, so dass es keine Berührungsängste gab.

Schnell fanden erste Gespräche und der Austausch von Ideen statt. Alle waren sich einig, dass die Kinder aktiv am Erstellen des Videos beteiligt werden und nicht nur bloße Akteure sein sollten. Gemeinsam wurde erörtert, was möglich war und was nicht, und dann legten die Kids los.

Die Vorbereitung

Es war eine Freude, mit anzusehen, mit welchem Engagement und Eifer die gesamte Klasse bei der Sache war. Pausen, Freistunden und Nachmittage wurden mit dem Projekt verbracht. Als ich die Klasse zum ersten mal besuchte, legten mir die Kinder zu meinem Erstaunen ein selbstgemachtes Treatment vor, das detailliert festhielt, was der Film enthalten sollte, wie und wo die verschiedenen Szenen gedreht und welche Schüler für was verantwortlich sein sollten. Daran konnte man sich während der gesamten Dreharbeiten orientieren. Sowohl die Klassenlehrerin als auch ich mussten kaum steuernd eingreifen oder die Motivation anregen – die war von vornherein da.

Die Dreharbeiten

An insgesamt drei Vormittagen sowie während einer Schulveranstaltung wurden die Ideen der Klasse auf Video gebannt. Dabei herrschte immer ein hohes Maß an Konzentration. Gerade beim Drehen mehrerer Takes einer Szene wusste jedes Kind, was zu tun war. Natürlich wurde dabei auch Wissen vermittelt – viele Kinder machten sich keine Vorstellung davon, wie solch ein Film entsteht. Besonders fasziniert waren sie von der Szene auf der kleinen Bühne der Schule – die sechs Schauspieler standen nebeneinander, und trotzdem kann man im Film immer nur den sehen, der gerade spricht. Solche Tricks konnten später beim Schnitt an die Mitglieder der Videogruppe der Imme weitergegeben werden – ein perfektes Zusammenspiel zwischen den Mitgliedern der Klasse und den Mitgliedern der Videogruppe.

Als der letzte Take im Kasten war – am letzten Schultag vor den Herbstferien – gab es übereinstimmend die Rückmeldung, dass es Riesenspaß gemacht hat, das Video zu drehen.

Der Schnitt

Dann war die Videogruppe dran: Deren Mitglieder waren bei den eigentlichen Dreharbeiten nicht dabei (es war schließlich während der Schulzeit) und machten sich nun an die Verarbeitung des Materials. Musik musste gefunden, Takes gesichtet, ein Rhythmus erarbeitet werden. Nach insgesamt rund 30 Arbeitsstunden, die sich über die gesamten Herbstferien zogen, war das Video im Kasten und konnte an die Macher der Fernsehshow geschickt werden.

Das Ergebnis

Alle Beteiligten sind sich einig: Das Projekt hat viel Spaß gemacht und war auf jeden Fall jede Mühe wert. Es gibt dabei nur Gewinner: Die Schule hat ein interessantes Projekt auf die Beine gestellt und den Kindern nicht nur Wissen über die Filmherstellung, sondern auch eine wundervolle Erinnerung gegeben (jedes Kind erhält eine DVD mit dem Video). Die Einrichtung hat ihren Besuchern wiederum eine Möglichkeit gegeben, ihre Freizeit sinnvoll und kreativ zu verbringen und etwas zu erschaffen, auf das sie stolz sein können.

Der Erfolg?

Ob das Video seinen Zweck erfüllt hat – nämlich die Klasse 6b in die Fernsehshow des KiKa zu bringen – wird sich erst Anfang Dezember zeigen, wenn bekannt wird, welche Klassen eingeladen werden.

Aber selbst wenn das nicht klappt: Das Projekt hat sich in jedem Fall gelohnt. Nicht nur wegen der bleibenden Erinnerung oder den Eindrücken, die die Kinder mitgenommen haben, sondern auch wegen der hochmotivierten und engagierten Zusammenarbeit zwischen zwei Systemen – Schule und Jugendhilfe – die sich eigentlich als ein System begreifen sollten.

Und wer sich das Ergebnis unserer gemeinsamen Bemühungen nun anschauen möchte – hier der Link zum Video:

https://vimeo.com/76263339

Jörg Backes, Kinder- und Jugendhaus Immenweg, Stadtteilzentrum Steglitz e.V.